lauragmartinez: Diese ist eine der interessantesten und unterhaltsamsten Quellen, die ich in der Recherche zu alternativen Beziehungsmodellen gefunden habe. Die drei Texte sind 2003 in der linken Zeitschrift „Incipito“ aus Leipzig erschienen. Der erste Text ist eine These, der zweite Text eine Kritik an diese These, der dritte dann eine Stellungnahme und Antwort zu dieser Kritik. Grundsätze der politischen Einstellung der Autor:Innen werden anfangs nochmal dargelegt, in einer meiner Meinung nach recht verständlichen und nicht zu akademisierten Sprache.
Die Argumentation der drei Texte ähnelt meinem inneren Prozess und meinem Struggle mit diesem Thema. Ich habe es schon ein Paar Mal angefangen und nicht zu Ende gelesen, habe es immer wieder versucht, es aber dann doch weggelegt. Zuerst war ich völlig überfordert, vom Tonfall, der Vehemenz und der Ironie, den Seitenstichen und unangenehmen Wahrheiten. Ich habe die Autor*Innen des ersten Teils als überheblich empfunden, als Menschen mit einer absurden utopischen Idee. In meiner Vorstellung habe ich die Person, die geschrieben hat, auch wenn es eine Gruppe ist, als männlich gelesen, privilegiert, fähig, sich diesen radikalen Vorstellungen hinzugeben, ohne Angst, etwas zu verlieren. Selbstoptimierung, Härte, Unabhängigkeit, komplette Konsequenz. Als ich daraufhin den zweiten Text gelesen habe, habe ich mich darin bestätigt gefühlt. Die Person sprach mir aus der Seele, ich habe sie naiverweise als Frau gelesen, empathisch, verzeihend, verständnisvoll. Die Stellungnahme kam mir dann als überflüssig vor, ich hab gar nicht mehr richtig hingeschaut.
Naja, beim zweiten Mal war es dann etwas anders. Ich war an einem Punkt, an dem ich offener war, was das beschriebene Lebensmodell angeht. Eigentlich auch aus einer gewissen Verzweiflung heraus. Ich habe gespürt, was Besitz und Unfreiheit in zwischenmenschlichen Beziehungen bedeutet. Nicht immer etwas Gutes, nicht immer Sicherheit, Zuhause und Geborgenheit, aber vor allem, dass das Ganze nicht unbedingt was mit Liebe oder Zuneigung zu tun haben muss, sondern viel, mit den eigenen Unsicherheiten. Ich habe gespürt, dass die innere Stimme, die mich dazu führt, diesen ersten Text zu verurteilen, das ganze Vorhaben zu verurteilen, von ganz viel Angst genährt ist. Die Angst, ein Modell zu verlassen, welches mir eine scheinheilige Sicherheit geboten hat. Das Versprechen von ewiger Treue und den ganzen Klischees, um ein vorhersehbares Leben zu führen mit allem was dazu gehört, wie Kinder und so. Aber vor allem um Liebe und Zuneigung wie in einem Eisfach zu bewahren, damit sie nicht schlecht werden. Dabei habe ich das, was mir wirklich wichtig war, wohl ziemlich erdrückt, obwohl in meinem Fall nie die Gefahr bestand, es zu verlieren.
Ich habe den ersten und dritten Teil dann mit der größten Mühe gelesen, diese Angst abzuschalten. Ich hab versucht Unterstellungen zu vermeiden, die ich den AutorInnen mache. Mir ist erst dann aufgefallen, wie viele Zwischentöne der Text doch besitzt. Und wie viel Platz für Fürsorge, Verantwortung, Bindung und Zuneigung in dieser Herangehensweise stecken kann.
Manchmal ist der Tonfall etwas gemein. Wenn etwas mit so einer krassen Selbstüberzeugung rübergebracht wird, werde ich sowieso misstrauisch. Aber inhaltlich bin ich aktuell schon mit dem meisten d'accord. Ich sage nicht, dass das, was da drin steht, die "Wahrheit" ist, das Beste oder das Sinnvollste. Jede:r von uns hat ihren/seinen Struggle, und ich kann das, was da als Lebenseinstellung vorgeschlagen wird einfach nicht komplett umsetzen, selbst, wenn ich es wollte. Da steckt wohl zu viel Monogamie in meiner Sozialisierung, und ich habe nicht immer die Energie, mich dem entgegen zu stellen. Ich habe es schwer mit diesem Satz: „Die Gewalt dieser Befreiung muss sich jede:r selbst antun. Es zu tun oder es nur zu wollen ist ein Unterschied ums Ganze.“ Denn ehrlich gesagt möchte ich mich gar nicht dieser Gewalt aussetzen, diese moralisch perfekte Version sein zu müssen. Ich nehme einfach so viel wie möglich für mein Leben davon mit.